ReGrow Timber Canopy
Die für die Bundesgartenschau 2023 in Mannheim gebaute ReGrow Timber Canopy kombiniert die natürlichen Materialien Holz und Flachs, um die Verwendung nachhaltig gewonnener Materialien in der Architektur zu zeigen und Denkanstöße zur Gestaltung der Zukunft der Bauindustrie zu geben. Das Projekt, eine Zusammenarbeit den Professuren Design of Structures (dos) und Digital Design and Fabrication (DDF) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit dem Industriepartner FibR GmbH, wird durch die Kombination schnell nachwachsender, natürlicher Rohstoffe und fortschrittlichen digitalen Planungs- und Fertigungstechnologien ermöglicht. Der Pavillon besteht aus drei miteinander verbundenen Holzelementen, die in einem Hexagonmuster angeordnet sind und von jeweils einer robotergewickelten Flachsfaser-Säule getragen werden. Dank der Rhomboiden Form der einzelnen Holzelemente ist das Dach- und Säulensystem modular in jede Richtung erweiterbar. Die klare Anordnung der Dächer im Grundriss wird durch ihre doppelte Krümmung ausgeglichen. Dieses Hauptmerkmal wurde eingeführt, um die Steifigkeit und die Tragfähigkeit des Tragwerks auf Basis seiner Geometrie zu erhöhen.
Die Konstruktion der Holzdächer basiert auf aktuellen Forschungsergebnissen zur klebstofffreien Herstellung gebogener Holzkonstruktionen, die durch das Biegen und das mechanische Laminieren der Holzkonstruktion hergestellt werden. Jedes Dachelement des Pavillons besteht aus neun Lagen zunächst flacher Weißtannenlatten mit Querschnittsabmessungen von 6 x 80 mm. Die Latten werden nacheinander in Form gebogen und in ihren Kreuzungspunkten mit einem Bolzen miteinander verbunden. Die präzise Platzierung und Ausrichtung der Bolzen gibt die Form des Daches vor und fixiert die Latten in ihrer geplanten Position. Die Führungskurven der Holzlatten folgen einem geodätischen Muster, das eine planare Überlappung der Latten gewährleistet. Das ist notwendig, um die zur Verbindung der Lamellen notwendige, durchgehende und glatte Oberfläche zu schaffen, die den tragenden Querschnitt bilden.
Wiederbesuchte Konstruktionsprinzipien doppelt gekrümmter Holzkonstruktionen
Es ist allgemein bekannt, dass Form und Krümmung eine wichtige Rolle bei der Gestaltung materialeffizienter Baukonstruktionen spielen. Im Holzbau erweist sich die Herstellung gekrümmter Elemente allerdings als schwere, meist ineffiziente Aufgabe und erfordert meist ein aufwendiges Formen, Bearbeiten, Pressen und Verkleben der Elemente. Um diesen Aufwand bei der Konstruktion des ReGrow Timber Canopy zu vermeiden, wird die Elastizität der zunächst flachen Holzlatten genutzt, um die gewünschte Form und die geplante Krümmung der Dachelemente zu erzeugen.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass aktiv gebogene Tragstrukturen starke strukturelle Grenzen haben, weshalb sie nur selten in großen architektonischen Kontexten zu sehen sind und ihre Anwendung eher auf kleine Demonstrationsprojekte beschränkt ist. Der Pavillon soll das Potenzial dieser Tragsysteme für große Tragstrukturen aufzeigen, indem die Elastizität der Lamellen als Strategie zur Formgebung und Herstellung eingesetzt wird. Die strukturellen Beschränkungen werden überwunden, indem einzeln gebogene Lamellen in mehreren, übereinanderliegenden Schichten angeordnet werden. So wird eine Verbundträger in Brettstapelbauweise mit ausreichenden Querschnittsdimensionen erzielt, der die erforderliche Tragfähigkeit gewährleistet.
Entwerfen mit natürlichen Unsicherheiten
Natürlich gewachsene Materialien sind in Bezug auf ihre Größe und ihre Form eher inhomogen, und ihre mechanischen Eigenschaften sind schwer vorhersehbar. Im Holzbau werden diese Schwierigkeiten durch die Entwicklung von Holzwerkstoffen (Engineered Wood Products, EWPs) überwunden, die oft auf einer chemischen Verklebung mehrerer Holzschichten basiert. Die Verwendung dieser synthetischen Klebstoffe bietet zwar eine strukturell wirksame Verbindung, beeinträchtigt aber die Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit des Holzwerkstoffes. Um die Umweltverträglichkeit der Holzdächer des Pavillons im Vergleich zu gängigen Holzwerkstoffen zu verbessern, werden die Verbindungen zwischen den Lamellen durch eine mechanische Laminierung erzeugt. In herkömmlich, mechanisch laminiertes Holz werden Stahlnägel oder Stahlschrauben verwendet, um die Holzschichten miteinander zu. Die mechanischen Verbindungen des ReGrow Timber Canopy werden mit Hilfe von Buchenholznägeln hergestellt, einem traditionellen Verbindungsmittel, das für die Anforderungen des modernen, nachhaltigen Bauens wieder neu entwickelt wurde. Durch die beim Einschlagen des Buchenholznagels in das Holz entstehende Reibungswärme schmilzt Lignin im Holznagel und verbindet sich mit den Holzlamellen zu einer festen Verbindung, frei von Chemikalien. Diese Konstruktionsweise stellt eine Alternative zum herkömmlich verwendeten Brettschichtholz dar, um räumlich komplexe, aber strukturell effiziente Holzkonstruktionen zu erhalten.
Robotic coreless filament winding
Die Säulen des ReGrow Pavillons bestehen aus nachwachsenden Flachsfasern, die mit Hilfe von Coreless filament winding (CFW) hergestellt werden. Dabei handelt es sich um eine neuere Fertigungstechnik, die die Herstellung von Tragkonstruktionen aus faserbasierten Materialien in einem additiven Wickelverfahren ermöglicht. Durch das Ziehen der Faserstränge durch ein Harzbad werden die Flachsfasern mit einer Polymermatrix imprägniert. Anschließend werden die Stränge um an einem wiederverwendbaren Stahlrahmen befestigte Wickelpins gewickelt. Die Polymermatrix schützt die Fasern vor Umwelteinflüssen, und verleiht dem erzeugten Faserverbundwerkstoff seine hervorragenden mechanischen Eigenschaften. Durch die spezifische Wickelreihenfolge und das Zusammenspiel der Faserstränge entsteht das einzigartige, doppelt gekrümmte, Säulendesign. Es entsteht eine tragende Säule, die durch die Kombination der Materialeigenschaften der Ausgangsmaterialien mit ihrer Form ihre außergewöhnliche Tragfähigkeit erhält und gleichzeitig ein geringes Eigengewicht hat. Zur Fertigstellung der Säule muss die Polymermatrix in einem Ofen aushärten, wodurch die biobasierte Polymermatrix ihre volle Festigkeit und Formstabilität erreicht. Nach dem Entfernen der Säule vom Wickelrahmen kann dieser zur Produktion weiterer Säulen verwendet werden. So ergibt sich ein materialsparender Produktionsablauf, der von der nahezu abfallfreien Verarbeitung der Flachsfasern unterstrichen wird. Die drei 2,8 m hohen Säulen wiegen jeweils rund 42 kg und halten einer Drucklast von über 3,5 t stand. Dank dieses geringen Gewichts lassn sichv die Säulen einfach transportieren und montieren.
Natürliche Ressourcen für die Zukunft des Bauens
Das ReGrow Timber Canopy zeigt, wie natürliche Materialien durch den Einsatz digitaler Technologien und fortschrittlicher Fertigungstechniken im Entwurf und in der Konstruktion von Tragwerken eingesetzt werden können. Das Dach des Pavillons dient als Beispiel, um die Verwendung erneuerbarer Baumaterialien und die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen in Kombination mit digitalen Fertigungsprozessen zu erforschen. Darüber hinaus werden ökologische und gesellschaftliche Hindernisse aufgezeigt, mit denen die gebaute Umwelt derzeit konfrontiert wird.
Projektpartner
Professur Digital Design and Fabrication (DDF)
Tenure-Track Prof. Moritz Dörstelmann, M.Sc. Daniel Fischer, M.Sc. Javier Fuentes Quijano
Professur Design of Structures (dos)
Prof. Dr.-Ing. Riccardo La Magna, M.Sc. David Andersson Largueche, M.Sc. Michael Kalkbrenner
Professur Bauphysik & Technischer Ausbau (fbta)
Prof. Andreas Wagner, M.Sc. Rafael Bartsch
Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP)
Dr. Rebekka Volk, M.Sc. Simon Steffl
„Next Generation Photovoltaics“ am Lichttechnischen Institut (LTI)
Tenure-Track Prof. Dr. Ulrich W. Paetzold, Simon Ternes
FibR GmbH
Dr.-Ing. Julian Fial, Puree Srisuk
Student Unterstützung
Nicolò Giovanella, Marco Tarrio Torres, Leon Vandreike
MIT UNTERSTÜTZUNG VON
Schorn & Groh
Helber + Ruff
Beck Fastening
Bächer Bergmann GmbH
PHOTOGRAPH
Tobias Wootton
FORSCHUNGSFÖRDERUNG
ReGrow wird vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) im Rahmen des Innovationsprogramms Bioökonomie Ländlicher Raum im Bereich nachhaltiges Bauen mit regional nachwachsenden Rohstoffen und digitalen Planungs- und Herstellungsprozessen gefördert.