ReSidence
Die Bauindustrie ist stark von endlichen Ressourcen abhängig und hat durch den Abbau von Rohstoffen und die Entstehung von Abfällen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Der Forschungsdemonstrator ReSidence stellt ein hybrides Bausystem vor, das eine lokale, zirkuläre Bioökonomie fördert. Durch die Schaffung geschlossener Materialkreisläufe adressiert das Projekt zentrale Herausforderungen im Bauwesen, reduziert Abfälle und verlängert die Nutzung erneuerbarer Materialien. Mithilfe digitaler Entwurfs- und Fertigungstechnologien kombiniert das Gebäudesystem natürliche Baustoffe wie Flachsfasern, Weiden, Lehm und Holz zu hybriden Bauelementen und zeigt damit einen zukunftsweisenden Ansatz für nachhaltige Baupraktiken auf.
Das Projekt baut auf der gebündelten Expertise für nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) auf, wobei sieben KIT-Professuren und der Industriepartner FibR GmbH beteiligt sind. Dieses transformative Projekt wurde auf der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu präsentiert.
Forschungsdemonstrator auf der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu
Der ReSidence-Forschungsdemonstrator zeigt einen Ausschnitt eines mehrgeschossigen Wohngebäudes und hebt die Verwendung natürlicher Materialien in Kombination mit effizienten, ressourcenschonenden digitalen Fertigungstechniken hervor. Das Projekt demonstriert das Potenzial vorgefertigter, modularer Bauweisen, indem es digital gefertigte, verstärkte Lehmdeckenelemente mit einer Holzrahmenkonstruktion und einem robotisch gewobenen Flachs-Fassadensystem kombiniert, die alle für einen effizienten Materialeinsatz und eine effiziente Montage vor Ort optimiert wurden.
Die im ReSidence-Projekt verwendeten Materialien – Lehm, Weide, Flachs und Holz – wurden gezielt aufgrund ihrer Nachhaltigkeit und ihrer Eignung für geschlossene Materialkreisläufe ausgewählt, um eine lokale, zirkuläre Bioökonomie zu fördern.
Die einzigartige Integration von Lehm und Weide ermöglicht es, dass die Deckenelemente Zugkräfte durch die Weidenverstärkung aufnehmen, während der Lehm Druckkräfte aufnimmt. Somit stellt das Deckensystem eine nachhaltige Alternative zu Stahlbetonelementen dar.
Lehm ist unendlich oft recycelbar, ohne dass seine Eigenschaften verloren gehen, und weltweit reichlich verfügbar. Weide, Flachs und Holz sind erneuerbare, pflanzliche Rohstoffe, die lokal angebaut werden können. Sie fördern die ökologische und wirtschaftliche Resilienz und verursachen im Vergleich zu aktuellen Baupraktiken deutlich geringere CO₂-Emissionen.
Weide bietet einen zusätzlichen ökologischen Vorteil: Sie gedeiht auf wassergesättigten Böden und eignet sich daher für den Anbau auf wiedervernässten Moorflächen in Deutschland. Ehemals entwässerte Moore sind aufgrund der Torfzersetzung bedeutende Quellen für CO₂-Emissionen. Die Wiedervernässung dieser Flächen in Kombination mit dem Weidenanbau kann CO₂-Emissionen verringern, indem die Torfzersetzung verlangsamt und durch das schnelle Pflanzenwachstum CO₂ gebunden wird, während die landwirtschaftliche Produktivität erhalten bleibt.
Modulare Vorfertigung
Durch die modulare Vorfertigung minimiert ReSidence die Umweltbelastungen während der Produktion und reduziert Lärm- und Staubemissionen auf der Baustelle erheblich. Diese Methode erhöht nicht nur die Bauqualität, sondern minimiert auch Beeinträchtigungen für Anwohner. Die Module können demontiert und wiederverwendet werden, wodurch Material- und Bauteilkreisläufe geschlossen bleiben und Abfälle nach dem Rückbau des Gebäudes vermieden werden.
Weide-Lehm-Holz-Bausystem
Inspiriert von der traditionellen Fachwerkbauweise sind die modularen Deckenelemente von ReSidence hybride Materialkomponenten, die die synergetische Kombination von Weide, Lehm und Holz nutzen. Im Gegensatz zur historischen Referenz, bei der Weide und Lehm als nicht tragende Füllmaterialien dienten, ermöglichen die im ReSidence-Projekt entwickelten digitalen Bauverfahren eine strukturelle Synergie: die Druckfestigkeit des Lehms wird durch Weide als Zugverstärkung ergänzt, wodurch eine stabile, tragende Struktur entsteht.
Forschungen zu digitalen Bautechnologien bildeten die Grundlage des Projekts und förderten Innovationen vom Konzept bis zur finalen Fertigung. Digitale Werkzeuge spielten eine entscheidende Rolle bei der Entwurfsentwicklung, der strukturellen Simulation und der Weiterentwicklung der Bauverfahren. Dieser Ansatz unterstreicht die Bedeutung synergetischer Forschungsansätze in den Bereichen digitales und nachhaltiges bauen, Tragwerksplanung, Bauteilprüfung und Lebenszyklusbewertung. Durch die Integration dieser Disziplinen erforschte das Projekt die Interaktion zwischen Materialien und deren Potenzial für tragende Anwendungen und zeigt damit das Engagement für die Transformation nachhaltiger Baupraktiken.
Das Projekt hebt hervor, wie digitale Fertigungstechnologien die Herausforderungen einer emissionsarmen Verarbeitung inhomogen gewachsener, pflanzlicher Baustoffe wie Weide und Flachs durch adaptive Fertigungsverfahren überwinden können.
Weidenzweige werden zu kontinuierlichen Makrofasern verbunden und mithilfe eines speziell entwickelten digitalen Vorfertigungsprozesses automatisch zu räumlichen Bewehrungsstrukturen angeordnet. Diese Zugbestandteile werden mit einer Mischung aus Lehm, Stroh und Schilf aufgefüllt, um Druckfestigkeit, thermische Masse und Schalldämmung zu gewährleisten – ganz ohne chemische Zusätze oder Stabilisatoren.
Die vorgefertigten Bauteile, die 3,6 Meter mal 1,2 Meter messen, werden getrocknet zur Baustelle transportiert und innerhalb der Holzrahmenstruktur montiert. Ihr modulares Design vereinfacht die Installation und ermöglicht die Wiederverwendung, wodurch ein geschlossener Materialkreislauf erhalten bleibt und Abfall minimiert wird.
Dieser innovative Ansatz löst die Herausforderungen der Inhomogenität und unvorhersehbaren Eigenschaften pflanzlicher Materialien und gewährleistet gleichbleibende Qualität und Skalierbarkeit. Durch die Ersetzung traditioneller Handwerkskunst durch rechnergestützte Analysen und robuste Fertigungslösungen ebnet ReSidence den Weg für die industrielle Nutzung kreislauffähiger Materialien im Bauwesen und verbindet Nachhaltigkeit mit Tragwerksleistung.
Flachs-Wand-Fassadensystem und Architektur
Die Gebäudehülle zeigt ein modulares Fassadensystem, das von tragenden Flachs-Faser-Composite-Elementen getragen wird, die robotisch gefertigt werden. Die robotisch gesponnenen Flachsfasern überspannen den Raum zwischen der primären Tragstruktur und tragen die punktgestützte Fassade.
Die hybriden Deckenkomponenten aus Lehm, Weide und Holz verbessern nicht nur die Tragwerksfunktion des Gebäudes, sondern verleihen ihm auch eine unverwechselbare architektonische Charakteristik, die eine durchdachte Integration von Form und Materialität widerspiegelt. Die Kombination aus Weide, Lehm, Flachs und Holz zeigt, wie Herausforderungen natürlicher Materialien in Chancen umgewandelt werden können, indem Architekten aktiv Veränderung gestalten und entwerfen. Diese Materialien und die neuartigen Verfahren ihrer Fertigung dienen als Gestaltungstreiber und inspirieren neue Ansätze in der Architektur, die Nachhaltigkeit und Designforschung vereinen. Durch die Nutzung dieser aufstrebenden Materialien und Methoden kann das Repertoire an Entwurfs- und Bauweisen erweitert werden, um kreative, umweltbewusste Lösungen zu entwickeln, die die Grenzen des architektonischen Ausdrucks neu definieren.
Galerie
Projektbeteiligte
Professur Digital Design and Fabrication (DDF)
TT-Prof. Moritz Dörstelmann, Javier Fuentes, Eszter Olah, Mehrdad Zareian, Carolin Feldmann, Daniel Fischer, Vincent Witt, Fanny Kranz
Professur design of structures (dos)
Prof. Dr.-Ing. Riccardo La Magna, Christina Müller, Michael Kalkbrenner
Professur Holzbau und Baukonstruktion + VAKA
Prof. Dr.-Ing. Philipp Dietsch, Christian Bertram
Forschungsgruppe Ressourcenmanagement in der bebauten Umwelt (IIP)
PD Dr.-Ing. Rebekka Volk, Simon Steffl
Professur Bauphysik und Technischer Ausbau (bst)
Prof. Dr.-Ing. Andreas Wagner, Petra Mann
Professur Baustoffe und Betonbau (IMB) + MPA
Prof. Dr.-Ing. Frank Dehn, Agemar Manny, Lutz Gerlach.
Professur Entwerfen und Konstruieren
Prof. Ludwig Wappner, Dr. Falk Schneemann
FIBR GMBH
Dr.-Ing. Julian Fial, Zirui Huang, Christian Dierk, Puree Srisuk
STIFTUNG NATURSCHUTZ PFRUNGER-BURGWEILER RIED
Christoph Schulz, Sabine Behr, Lisa Sander
Das Projekt wurde mit der Unterstützung von Architekturstudierenden der Fakultät für Architektur des KIT realisiert:
Annalena Thessmann, Kristof Kreer, Maximilian Granjon, Sydney Günther, Julia Centeno, Sean Ebner, Yaomin Lin, Homa Yazdi, Marion Baümgartner, Helena Krapp, Rebecca Steinbach, Lara Marquardt, Johanna Markus, Dorrin Abbassizadeh, Marie Walldorf, Luisa Estelmann, Montserrat Aravena.
Förderung:
Das Forschungsprojekt wurde vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg im Rahmen des Bioökonomie-Innovations- und Investitionsprogramms für den Ländlichen Raum (BIPL BW) Baden-Württemberg gefördert.